Vorgelegt

ist eine lockere Textreihe, die sich ums Boulespiel dreht.

Schwein oder Kastanie?

von | 13. Oktober 2023

Eines der vie­len fas­zi­nie­ren­den Details des Boule­spiels ist, dass es so ein­fach ist. Also rela­tiv ein­fach. Ins­be­son­de­re dann, wenn man die Grund­vor­aus­set­zun­gen kennt, um eine Par­tie Boule zu spie­len: Neben einem Satz Kugeln pro Per­son benö­tigt man – eigent­lich nichts Spezielles.

Gut. Kugeln – und was wei­ter? Da gibt es noch die­se klei­ne Holz­ku­gel, die, unschul­dig auf dem Platz lie­gend, manch­mal her­um­ge­schubst, sich manch­mal aus dem Staub machend, als Ziel dient. Wenn mal keins vor­han­den ist, tut es eine Kas­ta­nie, auch ein Stein ähn­li­cher Grö­ße, oder irgend etwas, das mit der Ziel­ku­gel, also dem „Cochon­net“ (fran­zö­si­sche Ver­klei­ne­rungs­form von „Schwein“) annä­hernd ver­gleich­bar ist. Das Ding muss noch nicht mal rund sein.

Tat­säch­lich: Mehr braucht man nicht. Kaum zu glau­ben, wenn man das Mer­chan­di­sing unse­res Sports sieht, das immer mehr unnüt­zen Krams anbie­tet – aber war­um soll­te es beim Pétan­que anders sein als beim Rest der Welt?

Lap­pen mit Anti-Sta­tik-Funk­ti­on zum Rei­ni­gen der Kugeln für garan­tiert bes­se­res Griff­ge­fühl, falt­ba­re Wurf­krei­se für ver­schie­de­ne Auto­mo­del­le, die im zusam­men­ge­klapp­ten Zustand genau auf die Grö­ße des jewei­li­gen Hand­schuh­fachs ange­passt sind (auf Wunsch in Wagen­far­be lie­fer­bar), spe­zi­el­le Base Caps mit kon­trast­ver­stär­ken­dem Schirm (aus­wech­sel­bar für kla­res, bedeck­tes und reg­ne­ri­sches Wet­ter), Schu­he mit sich auto­ma­tisch aus­rich­ten­dem Win­kel zuein­an­der für Schüs­se und Legekugeln …

Nein­nein­nein! Das gibt es alles natür­lich nicht. Jeden­falls bis­her noch nicht. War­ten wir’s mal ab – ich ken­ne Mit­glie­der der Bou­le­ge­mein­de, die ich als kauf­be­reit ein­schät­ze und die bei der Lek­tü­re die­ses Absat­zes bereits die Kre­dit­kar­te gezückt haben dürften.

Kolumne: Schwein oder Kastanie

Zurück zum Aus­gangs­ge­dan­ken: Wir brau­chen Kugeln und ein Ziel. Das reicht. Und der Platz, so wer­den auf­merk­sa­me Lese­rIn­nen fra­gen? Was ist mit dem Platz?

Arti­kel 5 der offi­zi­el­len Pétan­que-Regeln regelt das beein­dru­ckend schlicht: „Pétan­que wird auf jedem Boden gespielt.“ Jeder Boden bedeu­tet: jeder Boden. Wir könn­ten also auch auf einer Wie­se spie­len. Oder am Strand (wie im Foto irgend­wo in der Nor­man­die bei Ebbe). Oder im Stau auf der Auto­bahn. Oder – ich bin sicher, Ihnen fällt noch etwas ein.

September 2001, Boulespiel in der Normandie

Boule­spiel in der Nor­man­die (Sep­tem­ber 2001)

Ja, aber! War­um haben wir dann in wochen­lan­ger Kno­chen­ar­beit ein so auf­wän­di­ges Bou­lo­dro­me in Bracht­tal ange­legt, so mögen Sie fra­gen? Weil es Spaß macht! Nein, nicht die Kno­chen­ar­beit – aber das Spie­len auf beson­de­ren und viel­fäl­ti­gen, abwechs­lungs­rei­chen Unter­grün­den. Weil es viel mehr Spaß macht, wenn man eine Umran­dung hat, die Kugeln auf­hält. (Und natür­lich, weil so ein mäch­ti­ger, stammum­säum­ter Platz für uns Boulis­tIn­nen ein­fach gut aus­sieht und uns etwas stolz macht, was wir aber nie zuge­ben würden.)

Ein abge­grenz­ter Platz ist aus meh­re­ren Grün­den wich­tig: Tat­säch­lich ver­schwan­den schon Kugeln in angren­zen­den Tei­chen oder einem Abwas­ser­rohr. Auch ist es kei­ne Freu­de, eine Kugel aus einer Dor­nen­he­cke her­aus­zu­ho­len oder ihr einen Abhang hin­un­ter nach­zu­klet­tern. Gut, all das gibt es nicht bei uns auf dem Platz, aber man weiß ja nie! Besag­tes Abwas­ser­rohr hat­te vor­her auch nie­mand bemerkt. Zudem ist es gut, wenn die Kugeln das Ter­rain nicht ver­las­sen, denn auf Plät­zen ohne Begren­zung haben „inter­es­sier­te Pas­san­ten“ schon mal eine weit abseits lie­gen­de Boule als Sou­ve­nir für sich entdeckt.

Ein wei­te­rer Aspekt ist: Das Spiel kann span­nen­der wer­den. Ohne defi­nier­te Fel­der gibt es kein „Aus“. Alle Kugeln sind gül­tig, egal, wo sie lie­gen (klei­ne Aus­nah­men ver­nach­läs­sigt der Autor an die­ser Stel­le, denn sie wür­den nur ablen­ken). Auf abge­grenz­ten Spiel­fel­dern dage­gen ist es mög­lich, das Cochon­net oder eine geg­ne­ri­sche Kugel gezielt „ins Aus“ zu beför­dern. Auf die­se Wei­se kann mit einem schwie­ri­gen Schuß sowohl eine dro­hen­de Nie­der­la­ge ele­gant abge­wen­det, als auch ein glanz­vol­ler Sieg unter dem fre­ne­ti­schen Bei­fall der Umste­hen­den ein­ge­fah­ren werden.

Es gibt also wirk­lich vie­le Grün­de, ein Bou­lo­dro­me anzu­le­gen. Nicht der unwich­tigs­te ist: Der Platz zeigt an, dass da Pétan­que gespielt wird. Allei­ne durch die Sicht­bar­keit des Plat­zes sind das Spiel und die Sport­art Pétan­que in die­sem Jahr in Bracht­tal so rich­tig ange­kom­men. Neue Spie­ler­Innen sind dazu­ge­sto­ßen. Aus einer tol­len klei­nen Grup­pe ist eine grö­ße­re, viel­fäl­ti­ge, akti­ve – ein­fach wun­der­ba­re – Gemein­schaft gewach­sen, die auf dem Platz eine spie­le­ri­sche, sport­li­che und kul­tu­rel­le Hei­mat gefun­den hat.

Viel braucht man nicht, um dabei zu sein, wie Sie ja nun gelernt haben. Um es ganz ein­fach für alle Neu­gie­ri­gen zu machen, stel­len wir sogar noch kos­ten­los Kugeln zur Verfügung.

Die Kas­ta­nie brin­gen Sie bit­te selbst mit.

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