Eines der vielen faszinierenden Details des Boulespiels ist, dass es so einfach ist. Also relativ einfach. Insbesondere dann, wenn man die Grundvoraussetzungen kennt, um eine Partie Boule zu spielen: Neben einem Satz Kugeln pro Person benötigt man – eigentlich nichts Spezielles.
Gut. Kugeln – und was weiter? Da gibt es noch diese kleine Holzkugel, die, unschuldig auf dem Platz liegend, manchmal herumgeschubst, sich manchmal aus dem Staub machend, als Ziel dient. Wenn mal keins vorhanden ist, tut es eine Kastanie, auch ein Stein ähnlicher Größe, oder irgend etwas, das mit der Zielkugel, also dem „Cochonnet“ (französische Verkleinerungsform von „Schwein“) annähernd vergleichbar ist. Das Ding muss noch nicht mal rund sein.
Tatsächlich: Mehr braucht man nicht. Kaum zu glauben, wenn man das Merchandising unseres Sports sieht, das immer mehr unnützen Krams anbietet – aber warum sollte es beim Pétanque anders sein als beim Rest der Welt?
Lappen mit Anti-Statik-Funktion zum Reinigen der Kugeln für garantiert besseres Griffgefühl, faltbare Wurfkreise für verschiedene Automodelle, die im zusammengeklappten Zustand genau auf die Größe des jeweiligen Handschuhfachs angepasst sind (auf Wunsch in Wagenfarbe lieferbar), spezielle Base Caps mit kontrastverstärkendem Schirm (auswechselbar für klares, bedecktes und regnerisches Wetter), Schuhe mit sich automatisch ausrichtendem Winkel zueinander für Schüsse und Legekugeln …
Neinneinnein! Das gibt es alles natürlich nicht. Jedenfalls bisher noch nicht. Warten wir’s mal ab – ich kenne Mitglieder der Boulegemeinde, die ich als kaufbereit einschätze und die bei der Lektüre dieses Absatzes bereits die Kreditkarte gezückt haben dürften.
Zurück zum Ausgangsgedanken: Wir brauchen Kugeln und ein Ziel. Das reicht. Und der Platz, so werden aufmerksame LeserInnen fragen? Was ist mit dem Platz?
Artikel 5 der offiziellen Pétanque-Regeln regelt das beeindruckend schlicht: „Pétanque wird auf jedem Boden gespielt.“ Jeder Boden bedeutet: jeder Boden. Wir könnten also auch auf einer Wiese spielen. Oder am Strand (wie im Foto irgendwo in der Normandie bei Ebbe). Oder im Stau auf der Autobahn. Oder – ich bin sicher, Ihnen fällt noch etwas ein.
Ja, aber! Warum haben wir dann in wochenlanger Knochenarbeit ein so aufwändiges Boulodrome in Brachttal angelegt, so mögen Sie fragen? Weil es Spaß macht! Nein, nicht die Knochenarbeit – aber das Spielen auf besonderen und vielfältigen, abwechslungsreichen Untergründen. Weil es viel mehr Spaß macht, wenn man eine Umrandung hat, die Kugeln aufhält. (Und natürlich, weil so ein mächtiger, stammumsäumter Platz für uns BoulistInnen einfach gut aussieht und uns etwas stolz macht, was wir aber nie zugeben würden.)
Ein abgegrenzter Platz ist aus mehreren Gründen wichtig: Tatsächlich verschwanden schon Kugeln in angrenzenden Teichen oder einem Abwasserrohr. Auch ist es keine Freude, eine Kugel aus einer Dornenhecke herauszuholen oder ihr einen Abhang hinunter nachzuklettern. Gut, all das gibt es nicht bei uns auf dem Platz, aber man weiß ja nie! Besagtes Abwasserrohr hatte vorher auch niemand bemerkt. Zudem ist es gut, wenn die Kugeln das Terrain nicht verlassen, denn auf Plätzen ohne Begrenzung haben „interessierte Passanten“ schon mal eine weit abseits liegende Boule als Souvenir für sich entdeckt.
Ein weiterer Aspekt ist: Das Spiel kann spannender werden. Ohne definierte Felder gibt es kein „Aus“. Alle Kugeln sind gültig, egal, wo sie liegen (kleine Ausnahmen vernachlässigt der Autor an dieser Stelle, denn sie würden nur ablenken). Auf abgegrenzten Spielfeldern dagegen ist es möglich, das Cochonnet oder eine gegnerische Kugel gezielt „ins Aus“ zu befördern. Auf diese Weise kann mit einem schwierigen Schuß sowohl eine drohende Niederlage elegant abgewendet, als auch ein glanzvoller Sieg unter dem frenetischen Beifall der Umstehenden eingefahren werden.
Es gibt also wirklich viele Gründe, ein Boulodrome anzulegen. Nicht der unwichtigste ist: Der Platz zeigt an, dass da Pétanque gespielt wird. Alleine durch die Sichtbarkeit des Platzes sind das Spiel und die Sportart Pétanque in diesem Jahr in Brachttal so richtig angekommen. Neue SpielerInnen sind dazugestoßen. Aus einer tollen kleinen Gruppe ist eine größere, vielfältige, aktive – einfach wunderbare – Gemeinschaft gewachsen, die auf dem Platz eine spielerische, sportliche und kulturelle Heimat gefunden hat.
Viel braucht man nicht, um dabei zu sein, wie Sie ja nun gelernt haben. Um es ganz einfach für alle Neugierigen zu machen, stellen wir sogar noch kostenlos Kugeln zur Verfügung.
Die Kastanie bringen Sie bitte selbst mit.